Vielleicht kennen auch Sie den Begriff der »eierlegenden Wollmilchsau«. Wir IT-Consultants verwenden diesen gern, um damit kundzutun, dass der Kunde von einem System träumt, welches alle seine Wünsche erfüllt – und nicht nur die heutigen, sondern möglichst auch noch jene von morgen. Alles frei steuer- und konfigurierbar, ganz ohne Programmierkenntnisse.
Natürlich wissen wir mit der Erfahrung des Software-Ingenieurs und des potenziellen zukünftigen Betreibers, dass derartige Systeme und deren Projekte nicht machbar und ebenso wenig erstrebenswert sind. Schließlich wird dadurch jedes Projekt sehr komplex, kostet viel und wird erst später und allzu oft gar nicht fertig – am Berliner Flughafen exemplarisch zu beobachten. Und wenn es dann doch gutgehen sollte, weiß keiner wie das hochkomplexe Wunderwerk zu steuern ist …
Erst Köpfchen, dann Knöpfchen
Für einen Software-Ingenieur ist es deshalb nicht damit getan, eine Anforderung »in Code zu gießen«. Kritisches Nachdenken mit Blick auf die Anforderungen und eine sachliche Diskussion in Augenhöhe mit dem Fachbereich lassen das Wesentliche sichtbar werden und führen zu besseren Strukturen, gegebenenfalls zu einer Sammlung kleinerer, spezialisierter Lösungen, gut abgestimmt und bestens kooperierend. Die so gewonnenen Ergebnisse sind in ihren Teilen zeitiger verfügbar, haben die Chance zum Reifen, sind besser wartbar und damit letztlich auch wirtschaftlicher als die ursprünglich benannte »Wollmilchsau«.
Der Traum vom Wunderheiler
Zuweilen werde ich aber auch an besagtes Fabeltier erinnert, wenn ich Anforderungsprofile von Projekteignern hinsichtlich gewünschter externer IT-Consultants in der Hand halte. Wie in der Sendung »Wünsch Dir was« packt jeder seine persönlichen Vorlieben hinein: Der Fachbereich sucht den Spezialisten mit einschlägigem Fach-Know-How, seit 20 Jahren natürlich. Der IT-getriebene Projektleiter listet neben den tatsächlich im Projekt verwendeten Werkzeugen, Programmiersprachen, Datenbanken usw. auch noch alles auf, was vor Kurzem seinen Weg in die Computerwoche fand und dort als hipp befunden wurde. Schließlich erscheint auch noch der Einkauf mit seinen »Soft-Skills«: zeitliche und räumliche Flexibilität, nicht zu vergessen der Bestpreis. So wandelt sich der Consultant selbst zur »eierlegenden Wollmilchsau«.
Spreche ich im Nachhinein mit Beratern, die bei allen hochgesteckten Anforderungen letztlich eine ausgeschriebene Projektposition besetzt haben, lösen sich viele der Forderungen in Wohlgefallen auf. Statt der vier vorgegebenen Programmiersprachen und der drei Datenbanksysteme kommt nun doch nur, so wie zu erwarten, die Standardkombination Java und MySQL zum Einsatz. Die Anforderungen des Fachbereiches wurden durch einen anderen Kollegen bereits so weit aufgearbeitet, dass sie schnell und ohne »Spezialausbildung« erfassbar waren. Und auch nach mehreren Monaten zeigt sich, dass der Projekteigner die Option »mit dem Team könnte ich auch ganz andere Dinge tun« nie zieht. Im Bedarfsfall wird dann doch eher ein gesondertes Projekt ausgeschrieben, welches die neuen Anforderungen abdeckt.
Weniger ist mehr
Und die Moral von der Geschichte? Eierlegende Wollmilchsäue sollten im Bereich der Fabel verbleiben und weder als Blaupause für IT-Projekte noch für Projektmitarbeiter dienen. Software-Ingenieure sind kein »Bedienpersonal« für Tools! Sie müssen nicht alle Werkzeuge beherrschen, sollten aber umso mehr in der Lage sein, unter vorgegebenen Randbedingungen optimale Lösungen und Werkzeuge zu finden und letztere nach kurzer Zeit effizient einzusetzen.
Wichtiger als ein breites und zwangsläufig flaches Wissen um ein Werkzeugspektrum ist die Fähigkeit des Ingenieurs, kreativ Lösungen zu finden. Eigenartigerweise findet man diese Anforderung nie in einer Ausschreibung!